PANTA RHEI. AUCH DAS LAND.

Vademecum für den Fluss als solchen.

Nachdem Konstanze Siegemund ihren vorangegangenen Ausstellungsserien die Titel
„Eroberung der Landschaft“ sowie „Jagd“ gegeben hatte, lässt sie ihre aktuelle Werkkollektion unter dem Motto „Land“ sich präsentieren und tritt damit quasi einen Schritt zurück. Das meint nun mitnichten das Gegenteil von Fortschreiten, sondern ein Bewegen von den äußeren Erscheinungen hin zu deren wesentlichem Gehalt – also genaugenommen geht sie einen Schritt weiter.

In den vorjährigen Bilderfolgen standen namentlich und titelgebend des Menschen Tun in der Natur und die Spuren desselben im Fokus der Betrachtung. Nun steht dort das, was einfach nur „Land“ – in aller Assoziationsfülle – geheißen zu werden verdient. Konstanze Siegemund nähert sich malend dem, zu dem eine Beziehung zu haben der Mensch sich erst anschickt. Hat der Mensch sein Bein erst in die Natur gebohrt, bleiben unweigerlich Abdrücke: Brücken, Zäune, Tierkadaver … Jetzt, im Moment des Begegnens mit „Birke“, „Nacht“ und Elster ist das noch fern und es öffnet sich gleichsam Reflexionsebene, die das Prinzipielle unserer Verhältnisgestaltung zur Natur ins Visier, respektive unter den Pinsel nimmt.

Man könnte dabei ins Sinnieren kommen über Krea- und Kultur: dort das eine, Ursprungsquell allen Daseins – hier das andere, geboren und gewachsen aus ersterem und in hoffärtiger Anmaßung sich ihm überlegen wähnend.
Das Zusammentreffen an und in diesen Bildern evoziert Gedankenbögen, die Essenzielles der menschlichen – und also unser aller auch ganz individuellen – Daseinsweise bis hin zur Frage nach Heimat berühren. Frappierend bleibt dabei das Fehlen jeglichen Posierens in intellektueller Verschlagenheit, nicht einmal die alberne Koketterie mit unverstanden Wunderbarem findet sich. Konstanze Siegemund wäre nicht die sie ist, wen der Besucher ihrer Ausstellung nun betuliche Landschaftsbildnerei eines piefig tümelnden Gemüts gegenwärtig hätte. Die Weite ihrer Leinwände deutet adäquat auf die Spannweite ihres Schaffenshorizontes. Weder Eindimensionalität, noch stumpfes Basteln an inhaltsfreier Fassade sind ihre Stärken und die Abwesenheit von Engstirnigkeit ist ebenso beim Betrachter Voraussetzung für die Erlebbarkeit ihres Diskurses mit der jeweiligen Landschaftlichkeit.

Stille – etwas von uns allzumeist sehr Vergessenes – atmen diese Bilder, keine der Nichtigkeit allerdings. Über sie nicht hinweg zu gehen, wird sich dann als lohnenswert erwiesen haben, wenn dem Innehalten man sich hingibt.
Die Gedanken kommen in Fluss und spülen hervor, was hinter dem Auge des Betrachters ruhte. Einfache Striche, vertikal zum Fluss gesetzt und also Höhe und Tiefe quasi metaphorisch verbindend, verwandeln sich unter der Hand der Malerin letztlich im Kopfe des Betrachters zum allgewaltigen Fließen jeden Wassers, wie sowohl Elster, Pleiße und Spree als auch Ganges, Wolga und Missouri es uns vormachen. Man kann sich gleichsam in die Höhe fallen lassen und wird – zusätzliches Paradoxon – ein Dahingleiten in die Tiefe erleben. Im Bild mäandern die Formen um sich selbst, spiegeln die eigene Reflexion wider und setzen sich über ihr eben erreichtes Ende fort.
Die farblichen Verfremdungen tun der Authentizität des gesehenen Geschehens überraschen gut – als wäre aus der Anwendung der Heisenbergschen Unschärferelation eine künstlerische Akkuratesse gewonnen, der etwas Magisches anhaftet.

Max Frisch wusste in seinen Tagebüchern trefflich zu unterscheiden zwischen dem Blick des Kenners, der das Geschaute bloß einreiht in die Objektreihe des bereits Geschauten, und dem des Schaffenden, der – in welchem Metier auch immer tätig – das Werden mitschauen kann, da er „um das leere Papier“ weiß. Möge sich jeder Besucher angeregt fühlen, ihr Werden diesen Bildern abzuspüren.


Frank Kasch -Kulturwissenschaftler-
Text zur Ausstellung und für den Katalog -Land-
2010, Kunstallianz1 Berlin, Allianz Deutschland AG